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DFG-Projekt "Siedlung und Grubenanlage Herxheim b. Landau"

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Die Menschenknochen der Grabungen 1996–1999

Die während der Grabungen zwischen 1996 und 1999 geborgenen menschlichen Skelettreste aus der linienbandkeramischen Siedlung mit Grubenanlage wurden im Rahmen des DFG-Projektes an den Universitäten Hamburg und Tübingen bearbeitet. Der überwiegende Anteil der Menschenknochen fand sich in den Langgruben der beiden Grubenringe. Neben stark fragmentierten Knochen, Schädeln und Schädelkalotten wurden wenige vollständige Bestattungen sowie eine Reihe von Teilskeletten (Abb. 1) entdeckt.

Abb 1

Abb. 1: Teilskelett aus der Grubenanlage; im Kopfbereich liegen mehrere Schädelkalotten weiterer Individuen.

 

Diese Funde verstreuter Skelettreste und Körperteile führte anfänglich zu der Vermutung, dass es sich bei dem Befund um Überreste einer kriegerischen Auseinandersetzung handeln könnte. Erste Zweifel an dieser Hypothese kamen auf, als eine erste Schätzung der Mindestindividuenzahl anhand der Schädel und Kalotten eine Zahl von über 450 Toten in den zu ca. einem Drittel ergrabenen Bereichen der Anlage ergab; darüber hinaus wurde schon bei einer ersten Durchsicht der Schädel und Schädelkalotten deutlich, dass diese keinerlei Spuren tödlicher Schläge aufwiesen, wie es bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Gruppen zu erwarten gewesen wäre.
Die Auswertung des Menschenknochenmaterials hat unter anderem ergeben, dass in Herxheim alle Altersklassen vom Fötus bis zu mindestens spätmaturen Individuen regelmäßig vertreten sind. Aufgrund der erheblichen Fragmentierung des größten Teils des Skelettmaterials sind jedoch absolute Zahlen zu den Anteilen der verschiedenen Altersklassen ebenso wenig möglich wie eine Festlegung der jeweiligen Anzahlen männlicher und weiblicher Individuen.



Abb 2

Abb. 2: Fünf Schädelkalotten aus verschiedenen Komplexen der Grabung 1996-1999.


Zerschlagung
Bereits in ersten Vorarbeiten konnte auf eine regelmäßig wirkende Zurichtung der Schädelkalotten und eine starke Fragmentierung aller übrigen Skelettpartien hingewiesen werden. Die Bearbeitung der Schädel (Abb. 2) lässt sich mittlerweile als geradezu standardisiert bei fast 100% der Funde ansprechen. Dabei wurden ca. drei Schläge im Stirnbereich und mindestens jeweils zwei im Seitenbereich geführt um die unteren Schädelpartien abzuschlagen.
Auch bei der Zerschlagung der Skelettreste des Körpers lassen sich bestimmte Muster und wiederkehrende Manipuliationen dokumentieren. Vor allem die Langknochen wurden so intensiv aufgearbeitet, dass die Schäfte beinahe ausschließlich in Form kleiner und größerer Splitter vorliegen. Für den Großteil der menschlichen Individuen aus der Grubenanlage ist eine Zerschlagung und Manipulation für einen Zeitpunkt festzumachen, zu dem die Knochen noch frisch waren, die Personen also noch nicht lange verstorben waren. Nur in Einzelfällen sind auch Bruchspuren an bereits längere Zeit skelettierten Knochen zu
dokumentieren.


Abb 4
Abb. 3:


Abb 4
Abb.4:


Schnittspuren
Bei ca. 10% der Individuen treten an den Schädelkalotten zusätzlich Schnittspuren entlang der sagittalen Linie auf. Diese Spuren finden sich meist parallel zur Sutura sagittalis und in ihrer Verlängerung auf dem Stirnbein (Abb. 3) sowie quer zu dieser Orientierung unterhalb der Tuber parietalia (Abb. 4). Mittlerweile konnte durch die Untersuchung der Fragmente des unteren Stirnbereiches mit den Orbita festgestellt werden, dass in Einzelfällen auch unmittelbar oberhalb der Augenhöhlen die Kopfhaut quer eingeschnitten wurde, um die durch die Sagittalschnitte in zwei Hälften geteilte Kopfhaut abziehen zu können. Die Maßnahme betraf offensichtlich diejenigen Individuen, deren Verwesung noch nicht weit fortgeschritten war; hier handelte es sich sicherlich um relativ frisch verstorbene Personen.
Zudem konnte festgestellt werden, dass bei ca. 3% der Skelettelemente des Körperskelettes ebenfalls Schnittspuren vorliegen. An Schulterblättern wurden Weichteile entfernt und im Ellenbogen- und Hüftbereich Gelenkverbindungen durchtrennt. Hierdurch wird deutlich, dass nicht nur die Schädel regelhaft manipuliert, sondern auch die postcranialen Körperteile in noch frischem Zustand nach bestimmten, regelhaften Mustern zerlegt worden waren.

Krieg oder Ritual
Die früher geäußerte Vermutung, es könne sich bei dem Fundplatz Herxheim um einen Beleg für kriegerische Auseinandersetzungen handeln, lässt sich eindeutig widerlegen. Die sehr hohe Individuenzahl, die bei einer Hochrechnung auf die nicht ergrabenen Bereiche der Anlage eine Zahl von mindestens 1350 Individuen erwarten lässt, spricht ebenso gegen einen kriegerischen Konflikt wie die generell fehlenden Tötungsspuren – es lassen sich weder an den Schädeln noch am Skelettmaterial bislang Hinweise auf traumatische Verletzungen finden, die als Tötungsspuren interpretierbar wären. Zwar konnten an einigen Schädeln Hiebverletzungen festgestellt werden, die aber ohne Ausnahme vollständig verheilt sind. Die dokumentierten Läsionen liegen ausnahmslos im Bereich des Oberkopfs, also dem oberen Teil der Squama frontalis, der Parietalia sowie dem oberen Teil der Squama occipitalis. Dabei sind Einschlagstellen ganz unterschiedlicher, stumpfer bis halbscharfer Objekte zu beobachten.
Die Verteilung der nachgewiesenen Skelettelemente ist nicht proportional zu den anatomischen Gegebenheiten. So sind z.B. Skelettelemente des Hand- und Fußskelettes deutlich seltener im Fundmaterial vertreten. Dies spricht für eine bewusste Auswahl der in Herxheim niedergelegten Skelettreste. Ein weiteres Argument, das gegen ein Kampfgeschehen spricht, ist die Tatsache, dass so gut wie kein Tierverbiss an den Skelettresten nachweisbar ist, der bei Körpern von im Kampf getöteten und zunächst unbeerdigten Personen zu erwarten wäre.
Die Gesamtzusammensetzung der Komplexe, die neben den zahlreichen menschlichen Resten Keramik, Tierknochen, Steingeräte und andere Objekten enthalten, lässt zusammen mit den standardisierten Manipulationen eindeutig auf die Durchführung eines besonderen, bislang für die Bandkeramik nicht dokumentierten Rituals schließen.
Weiterhin lassen sich neben den fehlenden Hinweisen auf ein Kampfgeschehen an den menschlichen Resten keine Hinweise auf Mangel- oder Fehlernährung nachweisen. Die menschlichen Knochen von Herxheim liefern demnach keine Belege für eine ökonomische Krise oder ein anders geartetes Krisenszenario am Ende der Linearbandkeramik. Die Gebisse zeigen zwar nicht nur in höherem Alter einen fortgeschrittenen Abkauungsgrad, aber nur in Einzelfällen Karies und Parodontopathien. Der Verlust von Zähnen während der Lebenszeit der Individuen ist gering. Einzelne Fälle von schwacher Cribra orbitalia können zwar auf temporäre Mangelerscheinungen hinweisen, sind aber nicht als Hinweis auf längere Nahrungsmittelengpässe zu werten. Schmelzhypoplasien der Zähne treten sehr selten und nur in leichter Ausprägung auf. Die Zahl der dokumentierten Gelenkerkrankungen und Spondylopathien ist ebenfalls sehr gering.

Ausblick
Die Grundauswertung der menschlichen Knochen an den Universitäten Hamburg und Tübingen ist mittlerweile abgeschlossen und die erhobenen Daten in einer umfassenden Datenbank aufgenommen. Für die Gesamtauswertung werden die Knochenfunde derjenigen Konzentrationen, deren Zusammensetzung sich aus der Grabungsdokumentation möglichst lückenlos erschließen lässt, im Zusammenspiel mit den anderen Fundkategorien analysiert. Die räumliche Verteilung der einzelnen Knochenfragmente und Skelettelemente innerhalb der einzelnen Konzentrationen, mögliche Gruppierungen bestimmter Teile des menschlichen Skeletts, aber auch eventuelle Zusammensetzungen mit Fragmenten anderer Konzentrationen sind dabei wichtige Bestandteile der weiteren Auswertung.

Miriam N. Haidle, Jörg Orschiedt
Überarbeitung März 2009: Andrea Zeeb-Lanz



letzte Änderung: 27.02.2017